05.03.2020

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Seltene Krebserkrankung: Schlüsselmerkmal erleichtert Diagnose und Therapie einer bestimmten Form des Nervenscheidentumors

Nervenscheidentumoren sind nicht nur selten, sondern auch vielfältig und häufig schwer behandelbar. Mittels molekularer Analysen konnten Wissenschaftler und Ärzte nun eine Erbgutveränderung identifizieren, die sich dazu eignet, eine bestimmte Unterform der Nervenscheidentumoren zu bestimmen. Das betroffene Gen ist unter dem Namen ERBB2 oder HER2 bislang vor allem bei Brustkrebs bekannt. Für eine Patientin im NCT/DKTK MASTER-Programm eröffnete die Genveränderung eine neue Behandlungsoption. 

© NCT Heidelberg

Nervenscheidentumoren sind seltene, meist gutartige Tumoren. Sie entstehen aus Zellen, die die peripheren Nerven umhüllen. Bei den Betroffenen treten Gefühlsstörungen, Schmerzen und Schwäche bis hin zu Lähmungen auf. Häufigster gutartiger Nervenscheidentumor ist das Schwannom. Bei der Schwannomatose entwickeln die Patienten zahlreiche Tumoren entlang der peripheren Nerven. Weitere Formen sind Neurofibrome, Perineurinome und Nervenscheidenmyxome. Die Behandlung dieser Tumoren ist oft eine Herausforderung, da viele Unterformen wenig untersucht und verstanden sind. Auch fehlt es an etablierten medikamentösen Behandlungen. In einigen Fällen leiden Patienten an einem sogenannten Hybridtumor, der sowohl Merkmale eines Neurofibroms als auch eines Schwannoms aufweist. Bei einer 30-jährigen Patientin haben Wissenschaftler und Ärzte das Erbgut eines solchen Hybridtumors molekular untersucht. Die Erbgut-Analyse erfolgte innerhalb der NCT/DKTK MASTER (Molecularly Aided Stratification for Tumor Eradication)-Studie. Das Programm unter Leitung der Geschäftsführenden Direktoren am Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) Heidelberg und Dresden, Stefan Fröhling und Hanno Glimm, richtet sich vor allem an junge Patienten mit fortgeschrittenen Krebserkrankungen und Patienten mit seltenen Tumoren (www.nct-heidelberg.de/master).

Die Forscher entdeckten im Erbgut des Tumorgewebes eine Veränderung eines Gens, das den Bauplan für den sogenannten ERRB2-Rezeptor liefert. ERRB2, auch bekannt unter dem Namen HER2, ist ein Oberflächeneiweiß, an den Wachstumsfaktoren binden und so die Zellteilung anregen. Der Rezeptor ist verstärkt auf Brustkrebszellen zu finden und wird bei dieser Erkrankung als Angriffspunkt für eine zielgerichtete Behandlung genutzt, unter anderem mit dem Tyrosinkinase-Hemmer Lapatinib. "Unsere Patientin erhielt aufgrund der identifizierten Mutation den Wirkstoff Lapatinib. Unter der Therapie wurde das Tumorwachstum gebremst, die Nervenschmerzen der Patientin konnten gelindert und die Erkrankung langfristig stabilisiert werden", berichtet Michael Ronellenfitsch, Erstautor der publizierten Ergebnisse und Leitender Oberarzt am Institut für Neuroonkologie am Universitätsklinikum Frankfurt.

Um das Wissen aus dem positiven Fall auch für andere Patienten nutzbar zu machen, analysierten und beurteilten die Forscher in enger Zusammenarbeit mit Albrecht Stenzinger, Leiter des Molekularpathologischen Zentrums am Institut für Pathologie am Universitätsklinikum Heidelberg (UKHD), bei 14 weiteren Patienten mit einem Hybridtumor das Tumorgewebe. Da die Erkrankung sehr selten ist, wurden Patienten aus den Zentren des Deutschen Konsortiums für Translationale Krebsforschung (DKTK) Heidelberg, Tübingen und Frankfurt einbezogen. "Ausgehend von dem konkreten Indexfall, konnten wir über das NCT/DKTK-MASTER Netzwerk und die zielgerichtete Sequenzierung weitere Nervenscheidentumoren mit ERBB2-Mutationen identifizieren, die sich aus einer nicht-erblichen Schwannomatose entwickelt hatten", berichtet Albrecht Stenzinger.

"Mit diesem Konzept einer Zusammenarbeit über Disziplinen und Standorte hinweg, das aus meiner Sicht wegweisend ist, konnten wir zeigen, dass ERBB2-Mutationen in einer ganz bestimmten Untergruppe von Nervenscheidentumoren gehäuft auftreten", sagt Fröhling, der am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) die Abteilung für Translationale Medizinische Onkologie leitet. "Dieses Ergebnis eröffnet für einen Teil der Patienten mit der seltenen Erkrankung eine weitere Therapieoption. Darüber hinaus ist die Mutation ein wichtiges Kriterium, um die verschiedenen Formen von Nervenscheidentumoren diagnostizieren und unterscheiden zu können."

Das nationale Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) Heidelberg ist eine gemeinsame Einrichtung des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ), des Universitätsklinikums Heidelberg (UKHD) und der Deutschen Krebshilfe (DKH).

Originalpublikation: Michael W. Ronellenfitsch, et al,. Targetable ERBB2 Mutations Identified in Neurofibroma/Schwannoma Hybrid Nerve Sheath Tumors. The Journal of Clinical Investigation 2020. doi: 10.1172/JCI130787.