28.08.2018
DruckenIm Porträt: Mit Gleichungen gegen Tumoren
Melanie Börries ist alles andere als eine typische Mathematikerin; genauso wenig entspricht sie dem klassischen Bild einer Ärztin. Gewissermaßen ist sie die Interdisziplinarität in Person. Neben ihren mathematischen Fähigkeiten und dem umfangreichen Hintergrundwissen in der Medizin, insbesondere der Onkologie, zeichnet sie auch ihre Expertise in Bioinformatik, Genetik sowie Molekular- und Zellbiologie aus. Denn auf alle diese Disziplinen muss sie bei ihrer täglichen Arbeit zurückgreifen. Die Forscherin, neudeutsch würde man ihren Berufsstand wohl als Medical Scientist bezeichnen, leitet an der Universität Freiburg die Arbeitsgruppe Systembiologie und Systemmedizin, die Teil des Deutschen Krebskonsortiums (DKTK) ist.
Das Besondere bei Börries‘ Team ist, dass es neben den aufwändigen Experimenten im Labor anschließend versucht, die Ergebnisse mit komplexen mathematischen Modellen zu beschreiben. Daher befinden sich unter Börries‘ Kollegen sowohl Theoretiker, etwa Mathematiker, Physiker und Bioinformatiker, als auch Mitarbeiter, die experimentell arbeiten, darunter vor allem Biologen und Molekularmediziner. Gemeinsam erforschen sie zum Beispiel, wie einzelne Zellen miteinander kommunizieren. Dabei spielen unter anderem der Austausch von molekularen Botenstoffen und der mechanische Kontakt eine Rolle. Welche Signale haben welche Auswirkungen? Welche Proteine und Gene sind beteiligt und werden in welcher Weise reguliert?
Mit Hilfe der in den Experimenten gewonnenen Daten erstellen die Theoretiker mathematische Gleichungen, die schließlich die Dynamik des Systems beschreiben. Die Modelle liefern so auch Antworten auf Fragen, die mit der Entstehung und Entwicklung von Krebs im Kontext des gesamten Organismus in Verbindung stehen. Daneben können die mathematischen Modelle auch dazu beitragen, aus einer Vielzahl genetischer Mutationen, die Krebszellen aufweisen, jene zu finden, die für eine Krebserkrankung ausschlaggebend sind.
Über das Molekül hinaus denken
Schon während ihres Studiums der Medizin habe sie die Wissenschaft sehr interessiert, erinnert sich Börries. Das war dann mit ein Grund dafür, dass sie schließlich in zwei Fächern promovierte: in der Medizin und der Zellbiologie. „Während dieser Zeit ist mir klar geworden, dass man um Krankheiten wie Krebs zu erforschen nicht nur von einem Molekül zum andern Molekül denken darf“, so die Wissenschaftlerin. „Krebszellen verhalten sich ganz unterschiedlich, je nachdem welche anderen Zelltypen in der Umgebung sind. Also muss da gewissermaßen eine Kommunikation stattfinden.“ Und der Informationsaustausch zwischen einzelnen Zellen wirkt sich wiederum auf größere Strukturen aus, wie das betreffende Organ und schließlich den menschlichen Körper. Die damit verbundenen Fragen brachten die Wissenschaftlerin schließlich auf die Systembiologie – eine Disziplin, die biologische Organismen in ihrer Gesamtheit verstehen möchte.
Systembiologen brauchen umfangreiche Kenntnisse in der Bioinformatik und der Mathematik-Gebiete, auf denen Börries sich zunächst kaum auskannte. „Ich musste Bioinformatik und Statistik lernen.“ Dass sich diese Neugier für die verschiedenen Disziplinen lohnte, davon ist Börries heute überzeugt. Das war spätestens dann der Fall, als es darum ging, die mathematischen Analysen und Erkenntnisse auch auf Patienten und insbesondere auf molekulare Tumordaten anzuwenden. In dem standortübergreifendes Krebsgenomsequenzierungsprogramm DKTK MASTER, fahnden Börries und Kollegen nach Gendefekten von Tumoren, um mögliche therapeutische Ziele für jeden Patienten individuell und genau bestimmen zu können. Durch das Projekt sollen mehr Krebspatienten in Deutschland eine umfassende Krebsgenomanalyse erhalten, um die Behandlung individuell anzupassen und Patienten einer passenden klinischen Studie zuzuordnen.
Der Kreis schloss sich: Börries konnte nun auf ihre Expertise zurückgreifen, die sie bereits als Ärztin in der Klinik erworben hatte.
DKTK eröffnet viele Möglichkeiten
Als ihre Nachwuchsgruppe im Jahr 2013 Teil des DKTK-Netzwerks wurde, hat diese interdisziplinäre Herangehensweise schließlich einen enormen Schub bekommen, schwärmt Börries: „Durch den Kontakt mit den verschiedenen Standorten, den Zugriff auf das umfangreiche Wissen und das DKFZ im Hintergrund, ergaben sich zahlreiche Möglichkeiten, meine Forschung auch in der Klinik anzuwenden.“ Im Rahmen der DKTK-Projekte profitiert sie erneut davon, dass sie einerseits die Fragestellungen der Onkologen versteht. Andererseits kann sie die passenden Experimente entwerfen und die Daten daraus deuten. Und zu guter Letzt kennt sie die Methoden der Bioinformatiker und Mathematiker. Wer also, wenn nicht Börries, ist prädestiniert dafür, die Theorie in eine klinische Anwendung zu transformieren? Eine ihrer Hauptaufgaben ist dabei, zwischen allen beteiligten Personen mit ganz unterschiedlichen fachlichem Hintergrund zu vermitteln. „Wir müssen oftmals erst eine gemeinsame Sprache finden.“ Denn es gibt eben nur sehr wenige, die – so wie Börries – nahezu alle verstehen.
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