03.05.2024

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Mit Vitamin D gegen Darmkrebs

Vitamin D verringert die Sterberate bei Krebserkrankungen. In der PEVIDS-Studie erforschen DKTK-Wissenschaftlerinnen und -Wissenschaftler, wie genau es die Immunzellen im Kampf gegen Darmkrebs unterstützt und welche Erfolge sich durch eine personalisierte Vitamin-D-Gabe erzielen lassen.

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© DZG / wirDesign

Darmkrebs trifft meistens ältere Menschen. Doch inzwischen erkranken weltweit auch immer mehr junge Patientinnen und Patienten an dieser Krebsart. Schuld daran ist vor allem ein ungesunder Lebensstil: Rauchen, Alkohol, Bewegungsmangel, Übergewicht und eine fleischlastige Ernährung sind bekannte Risikofaktoren. „Man kann das positiv sehen: Wenn man einen gesunden Lebensstil pflegt, dann verhütet man nicht nur Darmkrebs, sondern auch viele andere Erkrankungen“, sagt Professor Hermann Brenner.

Er leitet die Abteilung Klinische Krebsepidemiologie und Alternsforschung am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg. Sein Spezialgebiet sind Studien, die zeigen sollen, wie man Erkrankungen besser vorbeugen oder behandeln kann. Wie genau Darmkrebs verläuft, ob er geheilt werden kann oder nicht, hängt von unterschiedlichen Faktoren ab. Einer davon ist Vitamin D: „Metaanalysen zeigen, dass Vitamin-D-Supplementierung die Sterberate an Krebs über alle Krebsarten hinweg um 13 Prozent senkt“, erklärt Brenner. „Bei Darmkrebs ist dieser Zusammenhang sogar noch etwas stärker ausgeprägt.“ Sollte Vitamin D also Teil einer unterstützenden Krebstherapie sein? Diese Frage will der Epidemiologe mithilfe einer großen Studie namens PEVIDS beantworten, die vom Deutschen Konsortium für Translationale Krebsforschung (DKTK) sowie dem globalen Netzwerk „World Cancer Research Fund“ finanziert wird.

 

# IMMER MEHR JÜNGERE MENSCHEN ERKRANKEN AN DARMKREBS: RAUCHEN, ALKOHOL, BEWEGUNGSMANGEL, ÜBERGEWICHT UND EINE FLEISCHLASTIGE ERNÄHRUNG SIND BEKANNTE RISIKOFAKTOREN.
 

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Übergewichtige Menschen benötigen mehr Vitamin D als Normalgewichtige. © DZG / wirDesign

Lebensqualität durch Vitamin D 

Vitamin D wird unter Einfluss von Sonnenlicht in unseren Hautzellen gebildet. Das Molekül ist für uns lebensnotwendig: Es stärkt die Knochen, kurbelt das Immunsystem an und hebt unsere Stimmung. Doch etwa ein Drittel aller Menschen in Deutschland ist nicht ausreichend mit Vitamin D versorgt, berichtet das Robert-Koch-Institut. Das führt dazu, dass sie sich oft abgeschlagen und müde fühlen, häufiger an Infekten erkranken oder eine Knochenschwäche bis hin zu Osteoporose entwickeln. Bei Darmkrebspatientinnen und -patienten hat sogar etwa die Hälfte einen Vitamin-D-Mangel, sagt Hermann Brenner. Im Rahmen von PEVIDS will er genauer untersuchen, wie sich die Vitamin-D-Supplementierung auf die Lebensqualität während der Erkrankung auswirkt. Einer der wichtigsten Punkte ist das Fatigue-Syndrom, die bleierne Müdigkeit, unter der viele Krebspatientinnen und -patienten oft Wochen, Monate oder sogar Jahre lang leiden. Brenner hofft, dass Vitamin D hier helfen kann. Darüber hinaus soll aber auch untersucht werden, welche Parameter des Immunsystems in welchem Umfang von der Vitamin-D-Gabe profitieren, um die zugrunde liegenden Mechanismen besser verstehen zu können.

Das Besondere an PEVIDS: Bei jedem Patienten und jeder Patientin wird vor Studienbeginn der Vitamin-D-Status genau gemessen. „In den bisherigen Studien zur Vitamin-D-Supplementierung wurde das so nie gemacht, der Status der Teilnehmenden war in der Regel unbekannt“, erklärt Brenner. Stattdessen erhielten alle Probandinnen und Probanden die gleiche Menge des Vitamins. Dies traf auch für die großen Studien in den USA zu, wo im Gegensatz zu Deutschland und den meisten europäischen Ländern nur eine Minderheit der Bevölkerung einen Mangel aufweist. „Das bedeutet aber, dass in diesen Studien überwiegend Menschen Vitamin D erhalten haben, die es gar nicht nötig hatten und davon auch nicht profitieren konnten. Dadurch wurden die bei einem Mangel an Vitamin D zu erwartenden Effekte massiv unterschätzt.“ In PEVIDS wird dagegen genau ermittelt, welche Menge der einzelne Patient benötigt: Ist der Vitamin-D-Spiegel bestimmt, wird anhand des Körpergewichts und des Body-Mass-Index berechnet, wie viel supplementiert werden muss. Da das Vitamin fettlöslich ist, verliert es sich schnell in den Fettzellen und steht dem Korper dann nicht mehr zur Verfügung. Übergewichtige Menschen brauchen also mehr davon als Normalgewichtige.

Die Supplementierung wird während der stationären Behandlung in Reha-Kliniken durchgeführt. Eine Hälfte der Probandinnen und Probanden erhält Vitamin D, die andere ein Placebo. Zu Studienbeginn und in definierten Zeitabständen während und nach der Sup-plementierung werden Blut-, Urin- und Stuhlproben gewonnen. Die darin enthaltenen immunologisch aktiven Moleküle, in ihrer Gesamtheit auch Immunom genannt, werden von den Kollegen am DKTK-Standort Tübingen untersucht. Die Kollegen am DKTK-Partner-standort München erforschen die Gesamtheit aller Proteine, das Proteom. In Kombination sollen diese Ergebnisse dabei helfen, dem Wirkmechanismus von Vitamin D auf die Spur zu kommen. „Wir wissen, dass Vitamin D die Immunabwehr anregt, aber was da im Einzelnen passiert, ist noch unklar“, fasst Brenner den aktuellen Stand der Forschung zusammen. Neben Immunom und Proteom möchte er demnächst auch das Mikrobiom untersuchen, also die Gemeinschaft aller Bakterien im Darm.

 

# VITAMIN D SOLL DABEI HELFEN, DIE PROGNOSE VON DARMKREBSPATIENTEN ZU VERBESSERN.
 

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Wer unbeabsichtigt zwei Kilo oder mehr an Gewicht verliert, sollte das ärztlich abklären lassen. © DZG / wirDesign

Gewicht als Faktor zur Früherkennung

Vitamin D soll also dabei helfen, die Lebensqualität und Prognose von Darmkrebspatientinnen und -patienten zu verbessern. Doch wie kann eine effektive Prävention gelingen? Ein Faktor, der dabei lange Zeit unterschätzt wurde, ist das Gewicht. Klar ist, dass Übergewicht das Darmkrebsrisiko erhöht. Doch genau wie bei Vitamin D ist auch dessen Effekt vermutlich deutlich unterschätzt worden. Denn die meisten Daten stammen aus sogenannten Kohortenstudien, bei denen eine große Zahl an Menschen nach einer anfänglichen eingehenden Untersuchung über einen langen Zeitraum in Bezug auf Krebs und andere Erkrankungen nachbeobachtet wurden. „Zu Beginn wird das Gewicht ermittelt und dann beobachtet man, ob und wann die Person Krebs bekommt“, erklärt Brenner. Gewicht und Krebsrisiko werden dann in Relation gesetzt. Doch dieses Vorgehen verzerrt das Ergebnis, denn: „Viele Menschen verlieren schon Jahre vor der Darmkrebsdiagnose unfreiwillig an Gewicht“, erklärt der Epidemiologe.
 

# DAS MOLEKÜL STÄRKT DIE KNOCHEN, KURBELT DAS IMMUNSYSTEM AN UND HEBT UNSERE STIMMUNG.
 

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Viele Krebspatientinnen und -patienten leiden oft und teilweise sehr lange am Fatigue-Syndrom. © DZG / wirDesign

Gemeinsam mit seinem Team hat er daher Daten aus der DACHS-Studie ausgewertet, Abkürzung für: „Darmkrebs: Chancen der Verhütung durch Screening“. Sie wird seit 2003 am DKFZ durchgeführt. Alle Teilnehmenden hatten ihr Körpergewicht zum Zeitpunkt der Darmkrebsdiagnose angegeben und zusätzlich auch die Werte von früheren runden Geburtstagen. Das Ergebnis: Viel aussagekräftiger als das Gewicht zum Zeitpunkt der Diagnose ist das Gewicht in den Jahrzehnten zuvor. Wer in diesem Zeitraum ein hohes Übergewicht aufwies, der erkrankte doppelt so häufig an Darmkrebs wie Normalgewichtige.

Die Analyse zeigte auch, dass ein unbeabsichtigter Gewichtsverlust von zwei Kilo oder mehr ein wichtiger Hinweis auf eine Darmkrebserkrankung sein kann. „In diesem Zeitraum ist der Krebs schon da, aber noch nicht durch Symptome aufgefallen. Hausärzte sollten ihre Patienten daher regelmäßig nach unbeabsichtigtem Gewichtsverlust fragen, der nicht nur ein Hinweis auf Darmkrebs, sondern auch auf andere Krebserkrankungen sein kann“, appelliert Brenner. Überhaupt ist ihm die Früherkennung von Krebserkrankungen ein großes Anliegen. „Bei Darmkrebs gibt es sehr effektive Möglichkeiten der Vorsorge und Früherkennung. Bei einer besseren, am persönlichen Risiko der Menschen orientierten Nutzung dieser Möglichkeiten könnte die Mehrzahl der Erkrankungen an Darmkrebs, insbesondere der bereits in jungen Jahren auftretenden Erkrankungen, verhindert werden. Wie wir das am besten erreichen können, ist eine Frage, die mich sehr bewegt.“
 

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© DZG / wirDesign

 

Dieser Artikel erschien in der SYNERGIE-Ausgabe # 1 | 2024
Text: Claudia Doyle