12.09.2019
DruckenMaschinelles Lernen verbessert die Diagnostik bei Patienten mit Kopf-Hals-Tumoren
Mehr als 17.000 Menschen in Deutschland erkranken pro Jahr an Kopf-Hals-Tumoren, also Krebs in der Mundhöhle, dem Kehlkopf, der Nase oder anderen Bereichen an Kopf und Hals. Bei einem Teil dieser Patientinnen und Patienten entwickelt sich zusätzlich ein Lungentumor. „Hier lässt sich in den allermeisten Fällen nicht sicher unterscheiden, ob es sich um eine Streuung – eine sogenannte Metastase – des Kopf-Hals-Tumors handelt oder um einen zweiten Tumor, also ein Lungenkarzinom“, erklärt Frederick Klauschen vom Institut für Pathologie der Charité. Zusammen mit David Capper vom Institut für Neuropathologie der Charité hat er die Studie geleitet. „Für die Therapie der Betroffenen hat diese Unterscheidung jedoch große Bedeutung“, betont Frederick Klauschen. „Während Patienten mit lokal begrenzten Lungenkarzinomen mittels einer Operation potenziell geheilt werden können, haben jene mit einem metastasierten Kopf-Hals-Tumor eine deutlich schlechtere Überlebenschance und benötigen beispielsweise eine Radiochemotherapie.“
Normalerweise greifen Pathologen zur Unterscheidung zwischen Metastase und Zweittumor auf etablierte Methoden wie die Analyse der Feinstruktur des Tumors sowie den Nachweis charakteristischer Eiweiße im Gewebe zurück. Da Kopf-Hals-Tumoren und Lungenkarzinome hier jedoch große Ähnlichkeit zeigen, liefern diese Untersuchungen in einem Großteil der Fälle kein eindeutiges Ergebnis. „Um dieses Problem zu lösen, analysierten wir Gewebeproben hinsichtlich einer speziellen chemischen Veränderung der DNA, der sogenannten Methylierung“, erläutert David Capper, der wie auch Frederick Klauschen wissenschaftliches Mitglied des DKTK am Standort Berlin ist. „Aus früheren Studien wissen wir, dass das Methylierungsmuster von Krebszellen sehr stark davon abhängig ist, aus welchem Organ der Tumor abstammt.“
Um diese Information nutzbar zu machen, wendete die Forschungsgruppe in Kooperation mit Klaus-Robert Müller, Professor für Maschinelles Lernen an der TU Berlin, Methoden der künstlichen Intelligenz an. Anhand von Methylierungsdaten mehrerer hundert Kopf-Hals- und Lungentumoren trainierten sie ein künstliches neuronales Netzwerk so, dass es lernte, diese Tumorarten zu unterscheiden. „Unser neuronales Netzwerk ist nun in der Lage, Lungenkarzinome und Metastasen von Kopf-Hals-Tumoren in den meisten Fällen mit einer Genauigkeit von über 99 Prozent zu unterscheiden“, unterstreicht Prof. Klauschen. „Damit Patientinnen und Patienten mit Kopf-Hals-Tumoren und zusätzlichen Lungentumoren schnellstmöglich von den Ergebnissen unserer Studie profitieren, erproben wir derzeit an der Charité die Einführung dieses neuen diagnostischen Verfahrens in die klinische Routine. Dazu gehört auch, die neue Methode in einer prospektiven Studie zu validieren, um in Zukunft eine flächendeckende Anwendung für alle Betroffenen zu ermöglichen.“
Auch Klaus-Robert Müller, der das Berliner Zentrum für Maschinelles Lernen leitet und in diesem Rahmen mit den Wissenschaftlern der Charité kooperiert, freut sich über die Ergebnisse der Arbeit: „Künstliche Intelligenz spielt in unserem täglichen Leben, der Industrie sowie der naturwissenschaftlichen und medizinischen Forschung eine zunehmend wichtige Rolle. Gerade in der Medizin ist der Einsatz von künstlicher Intelligenz aber besonders komplex, daher kommen Forschungsergebnisse bislang nur selten direkt bei den Patientinnen und Patienten an. Das könnte sich jetzt ändern.“
Originalpublikation:
Jurmeister P & Bockmayr M et al., Machine learning analysis of DNA methylation profiles distinguishes primary lung squamous cell carcinomas from head and neck metastases. Sci Transl Med. 2019 Sep 11. doi: 10.1126/scitranslmed.aaw8513