12.09.2018
DruckenErwin-Schrödinger-Preis 2018: Prostatakrebs besser erkennen und behandeln
Dass die Entdeckung das Zeug zu einem großen Erfolg hat, merkte Uwe Haberkorn schon früh. "Wir testeten gerade einen neuen Wirkstoff, mit dem sich Prostatakrebs besser erkennen lassen sollte", erinnert sich der ärztliche Direktor der Abteilung Nuklearmedizin am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg – "und auf einmal sagten mir die Strahlentherapeuten und Urologen, dass sie für die Diagnostik nur noch mit diesem neuen Wirkstoff arbeiten wollen." Viel schärfer und klarer erkennbar waren die Aufnahmen von den Krebszellen auf ihren Bildschirmen als bei allen vorherigen Methoden. Gerade einmal sieben Jahre liegt dieser Moment zurück; heute haben weltweit bereits mehrere hunderttausend Patienten von der Heidelberger Erfindung profitiert.
Der Ausgangspunkt der Entdeckung: PSMA, das Prostata-spezifische Membran-Antigen, ist auf der Oberfläche gesunder Prostatazellen vorhanden, ein Vielfaches mehr aber auf Prostatakrebszellen. Im restlichen Körper kommt das Protein kaum vor. Diesen Umstand hat sich ein interdisziplinäres Forscherteam aus Heidelberg zunutze gemacht und ein kleines Molekül entwickelt, das einerseits an diesem Antigen andockt und sich andererseits mit verschiedenen schwach radioaktiven Substanzen, so genannten Radionukliden, markieren lässt. Injizieren die Forscher das Molekül in die Blutbahn eines Patienten, so bleibt es gewissermaßen an den Prostatakrebszellen hängen. Der radioaktive Anteil des Moleküls sorgt dafür, dass die Ansammlungen des Moleküls an den Krebszellen sichtbar werden. In sogenannter Positronen-Emissions-Tomographie (PET), erkennen die Ärzte dank dieser Markierungen selbst kleinste Herde von Prostatakrebszellen.
Neben dem Nuklearmediziner Uwe Haberkorn gehören zum Forscherteam auch zwei Chemiker und ein Biotechnologe. "Genau diese Kombination unterschiedlicher Fachrichtungen hat unsere Arbeit erst möglich gemacht – und den Durchbruch in dieser kurzen Zeit", sagt Klaus Kopka. Der Abteilungsleiter im Bereich Radiopharmazeutische Chemie am DKFZ spricht von einer "Erfindergemeinde", die hinter dem Projekt steht. Zu ihr zählen neben Kopka und Haberkorn auch der Chemiker Michael Eisenhut (DKFZ, emeritiert) sowie der Biotechnologe Matthias Eder (Universitätsklinikum Freiburg und Deutsches Krebskonsortium). Für ihre Entdeckungen wurden die vier Forscher aus Heidelberg am 11. September im festlichen Rahmen der Helmholtz-Jahrestagung mit dem Erwin-Schrödinger-Preis ausgezeichnet. Dieser Preis wird jedes Jahr abwechselnd vom Stifterverband und Helmholtz vergeben und würdigt innovative Leistungen, die in den Grenzgebieten verschiedener Fächer der Medizin, Natur- und Ingenieurwissenschaften entstehen.
Die Grundlagen für das Projekt entstanden im Jahr 2011 noch unter Kopkas inzwischen emeritiertem Vorgänger Michael Eisenhut. PSMA-11 hieß das Molekül, das sein Team damals entwickelte. Die Methode der Kopplung des Moleküls mit einem sogenannten diagnostischen Radionuklid ist heute weltweit im Einsatz. Für die Heidelberger Forscher ging die Arbeit an dieser Stelle aber erst richtig los.
"Wir sind dann übereingekommen, dass wir auch eine therapeutische Variante entwickeln wollen", sagt Klaus Kopka. Im Klartext: Wenn die Wissenschaftler schon einen Weg zu den Krebszellen gefunden hatten, wollten sie ihn auch gleich dazu nutzen, sie zu bekämpfen. Matthias Eder war zu dieser Zeit als Postdoc mit im Labor; heute ist er Professor am Universitätsklinkum in Freiburg. "Der Gedanke war, eine targeted therapy zu entwickeln; eine Substanz, die gezielt gegen eine Zellstruktur gerichtet ist", erinnert sich Eder. So entstand der Wirkstoff PSMA-617, der mit dem diagnostischen Wirkstoff PSMA-11 eng verwandt ist. Der Unterschied zum diagnostischen Molekül liegt in dem radioaktiven Anteil, der stärker strahlt und in der Lage ist, die Zellen zu zerstören. Der Wirkstoff gelangt nach der Kopplung ins Krebszellinnere – also genau dorthin, wo er seine zerstörende Wirkung entfalten soll. Andere Zellen sind durch die radioaktive Strahlung kaum betroffen, da der Wirkstoff schnell wieder aus dem Blutstrom entfernt wird. Die ersten Ergebnisse waren so erfolgreich, dass die Wissenschaftler ihre Entdeckung an ein US-amerikanisches Pharmaunternehmen lizensiert haben. Dort läuft derzeit eine klinische Studie, an der weltweit mehr als 80 Krebszentren in neun Ländern teilnehmen. In einigen Jahren, so ist die Hoffnung der Wissenschaftler, soll die Behandlung nach allen Testläufen von den Gesundheitsbehörden zugelassen sein. "Beide Moleküle ergänzen sich sehr gut", bilanziert Matthias Eder: "PSMA-11 ist ideal zur Diagnose, weil es schneller sichtbar wird, und PSMA wiederum wird gut ausgeschieden, was für die Therapie vorteilhaft ist."
Die interdisziplinäre Zusammenarbeit ist das Erfolgsrezept des Projekts: "Wir Radiopharmazeuten zum Beispiel sind natürlich weltweit auf Kongressen im Kontakt mit Nuklearmedizinern", sagt Matthias Eder – "aber entscheidend war bei diesem Projekt der Kontakt vor Ort. Wir haben gemeinsame Seminare veranstaltet, über unsere Ergebnisse diskutiert und waren so nah beieinander, dass wir uns problemlos auch zwischendurch einmal zusammensetzen konnten."
Mit ihrer Entwicklung, die mit einem Gedankenspiel unter Kollegen in Heidelberg begann, konnten Mediziner in aller Welt inzwischen ihren Patienten neue Hoffnung machen. Uwe Haberkorn kommentiert diese Erfolge in aller Bescheidenheit: "Natürlich freut man sich", sagt er, "wenn es etwas taugt, was man entwickelt hat."