13.08.2025
DruckenSchlafende Krebszellen im Visier
Ein Neuroblastom kann ein besonders tückischer Tumor sein. Zwar bildet sich etwa die Hälfte von ihnen wieder zurück, mitunter sogar ohne Therapie. Doch die andere Hälfte wächst sehr schnell. Oft sprechen diese Tumore auf eine Chemotherapie zunächst gut an, kehren nach ein bis zwei Jahren aber oft wieder zurück. Ein charakteristisches Merkmal dieser aggressiven Neuroblastome ist das vermehrte Vorkommen des Onkogens MYCN.
Ein Team um Dr. Jan Rafael Dörr und Prof. Anton Henssen vom Experimental and Clinical Research Center (ECRC), einer gemeinsamen Einrichtung der Charité und des Max Delbrück Center, hat jetzt herausgefunden, dass die Lokalisation dieses Gens eine wichtige Rolle spielt: Befindet es sich außerhalb der Chromosomen, können sich die Krebszellen durch einen Ruhezustand vor dem Angriff der Medikamente schützen. Die Forschenden schlagen eine neue Behandlungsstrategie vor, die auch diese schlafenden Zellen des Tumors verstärkt ins Visier nimmt. Im Mausmodell hat sich ihr Ansatz bereits bewährt.
Krebsgene auf kleinen Ringen
Das Neuroblastom zählt zu den häufigsten Krebserkrankungen von Kindern. Die Tumore entwickeln sich aus Zellen des sympathischen Nervensystems, können überall im Körper entstehen und sind überwiegend bei Kindern unter fünf Jahren zu finden. „Als besonders schlecht behandelbar galten bisher Neuroblastome, in denen das Onkogen MYCN nachweisbar ist“, sagt Jan Dörr, der auch als Kinderonkologe an der Charité tätig ist. „Wir wollten herausfinden, was das Gen in den Zellen genau bewirkt, wie es die Expression anderer Gene womöglich beeinflusst und wie man solche Tumore künftig effektiver zerstören kann.“
Anton Henssen, ebenfalls Charité-Kinderonkologe und Wissenschaftler im Deutschen Konsortium für Translationale Krebsforschung (DKTK), hatte im Vorfeld mit seinem Team bereits herausgefunden, dass das Onkogen oft nicht auf den Chromosomen liegt, sondern auf sehr viel kleineren, ringförmigen DNA-Molekülen. „Wenn sich die Zellen teilen, wird diese DNA anders als die chromosomale willkürlich auf die Tochterzellen verteilt“, erläutert der Wissenschaftler. Das hat zur Folge, dass sich in solchen Neuroblastomen sowohl Zellen mit sehr vielen als auch Zellen mit sehr wenigen MYCN-Kopien befinden.
Die schlafenden Zellen entziehen sich
Jan Dörr und sein Team haben die unterschiedlichen Tumorzellen weiter untersucht. „Gemeinsam mit der Gruppe von Fabian Coscia ist es uns dank einer in der Studie erstmals beschriebenen Methode gelungen, Zellen mit vielen MYCN-Kopien von denen mit wenigen Kopien zu trennen und dann zu untersuchen, wie sich die Zusammensetzung der Proteine und der Phänotyp dieser Zellen voneinander unterscheiden“, berichtet der Forscher.
In Experimenten mit kultivierten Tumorzellen, Mausmodellen und Patientenproben haben die Forschenden anschließend zeigen können, dass nur die aggressiven Zellen mit vielen MYCN-Kopien von einer Chemotherapie zerstört werden. „Tumorzellen mit wenigen MYCN-Kopien hingegen überleben und fallen lediglich in eine Art Tiefschlaf“, erklärt Jan Dörr. Aus diesem können sie allerdings durch noch nicht vollständig verstandene Weckrufe wieder erwachen und dann zum Wiederaufflammen der Krebserkrankung beitragen.
Ein Ansatz auch für Hirntumore
„Es gibt Medikamente, die sich speziell gegen solche seneszenten, das heißt schlafenden, Zellen richten“, sagt Jan Dörr. Im Mausmodell haben er und sein Team zeigen können, dass die Kombination einer Chemotherapie, die vor allem die schnell wachsenden Zellen mit vielen MYCN-Kopien zerstört, und eines anschließend verabreichten Wirkstoffs, der die seneszenten Zellen angreift, die Therapie des Neuroblastoms deutlich effektiver macht. „Unser Ansatz eignet sich vermutlich vor allem für Tumore, bei denen das MYCN-Gen oder andere Onkogene auf der extrachromosomalen DNA liegen“, sagt der Wissenschaftler. Für Tumore, bei denen sich diese Erbanlagen auf den Chromosomen befinden, müsse man andere Strategien entwickeln.
Zunächst wollen die Forschenden nun systematisch nach weiteren Wirkstoffen suchen, die sich auch im menschlichen Gewebe gezielt gegen die schlafenden Tumorzellen richten und gesunde Zellen möglichst verschonen. „Interessant ist der jetzt vorgestellte Ansatz in jedem Fall auch für die Therapie anderer Tumore, an deren Entstehung Krebsgene auf den DNA-Ringen beteiligt sind“, ergänzt Anton Henssen. Dazu zählen beispielsweise die besonders gefürchteten Hirntumore.
Link zur Orginalmeldung
Link zur Orginalpublikation