10.02.2022
DruckenNeuer Resistenzmechanismus bei der Therapie des Enddarmkarzinoms entdeckt: entzündliche Bindegewebszellen vermindern Ansprechen auf Radiochemotherapie
In den letzten Jahren wurden große Verbesserungen in der multimodalen Behandlung des Rektumkarzinoms erzielt; für Patient:innen mit kompletten Ansprechen auf eine Radiochemotherapie testet die von Prof. Rödel und Prof. Fokas geleitete Deutsche Rektumkarzinom-Studiengruppe derzeit eine primär organerhaltendes Vorgehen ohne operative Entfernung des Tumors. Allerdings gibt es immer auch Patient:innen, die nicht oder nur unzureichend auf die Standard-Radiochemotherapie ansprechen. Um die Gründe für dieses unterschiedliche Tumoransprechen besser zu verstehen, haben sich im Frankfurt Cancer Institute (FCI) Ärzt:innen aus der Klinik für Strahlentherapie und Onkologie, dem Universitären Centrum für Tumorerkrankungen (UCT) und anderen Teilen des Universitätsklinikum Frankfurt mit Wissenschaftler:innen aus dem Georg-Speyer-Haus zusammengetan.
Jetzt ist das interdisziplinäre Team seinem Ziel einen bedeutenden Schritt nähergekommen. Die Forschenden nahmen nicht nur den Tumor selbst unter die Lupe, sondern untersuchten auch das Gewebe und die verschiedenen Zellarten, die den Tumor umgeben, das sogenannte Tumormikromilieu. Dabei fanden sie heraus, dass sich spezielle Bindegewebszellen des Tumormikromilieus in den therapieresistenten Tumoren in einem entzündlichen Stadium befinden. Durch die Strahlentherapie erfahren diese Zellen weitere Veränderungen, die letztendlich dazu führen, dass Tumorzellen resistenter gegenüber Bestrahlungen werden. Wenn die Forschenden allerdings einen bestimmten entzündungsfördernden Botenstoff namens IL-1a hemmten, konnten sie diese Veränderungen aufhalten und den Krebs wieder durch Bestrahlung angreifbar machen.
Ergebnisse aus dem Labor eröffnen neue Möglichkeiten in der Klinik
„Ich gratuliere dem LOEWE-Zentrum FCI herzlich zu diesem Erfolg. Mit unserem Programm LOEWE wollen wir als Land Hessen genau solche Spitzenforschung unterstützen. Wenn Therapien gegen Krebs besser in ihrer Wirkung vorhergesagt und damit gezielter gesteuert werden können, kann das vielen leidenden Menschen helfen“, erklärt Hessens Wissenschaftsministerin Angela Dorn. „Das Beispiel zeigt anschaulich, wie LOEWE den klugen Köpfen an unseren Hochschulen und Forschungseinrichtungen die Freiheit gibt, Lösungen für die großen Herausforderungen unserer Zeit und der Zukunft zu entwickeln. Ein Schwerpunkt liegt dabei in der Zusammenarbeit der Einrichtungen, um Stärken zu bündeln und die Brücke von der Grundlagen- zur anwendungsorientierten Forschung zu schlagen; das FCI ist dabei mit der Kooperation von Goethe-Universität, Georg-Speyer-Haus, Max-Planck-Institut für Herz- und Lungenforschung und Paul-Ehrlich-Institut ein hervorragendes Beispiel.“
Prof. Claus Rödel und Prof. Emmanouil Fokas fassen zusammen: „Wir haben in der Klinik beobachtet, dass Patient:innen trotz gleicher Tumordiagnose sehr unterschiedlich auf unsere Therapie ansprachen. Wir hoffen, dass wir durch diese neuen Erkenntnisse auch die resistenteren Enddarmtumore mit einem neuen Therapiekonzept erfolgreich behandeln können, indem wir während der Radiochemotherapie zugleich auch resistenzvermittelnde Entzündungsprozesse im Bindegewebe hemmen.“
Die Analysen der Patient:innenproben zeigten, dass es im Tumor keine eindeutigen genetischen Unterschiede zwischen den Gruppen der Patient:innen mit guter oder schlechter Therapieantwort gibt. Es stellte sich jedoch heraus, dass die Verfügbarkeit eines bestimmten Rezeptors für einen entzündlichen Botenstoff im Blutserum ein guter Prognosemarker ist. Das bedeutet, dass erst die Untersuchung des Bindegewebes, des Tumormikromilieus, eine Erklärung für die verschiedenen Reaktionen der Behandelten auf die Therapie brachte.
Dr. Adele Nicolas, Wissenschaftlerin aus dem Georg-Speyer-Haus und Erstautorin der Studie, erläutert: „Mit unserer Laborforschung konnten wir den Kolleginnen und Kollegen aus der Klinik gleich zweifach helfen: Wir konnten ihnen sowohl einen Angriffspunkt aufzeigen, wie sie resistentere Enddarmtumore wieder für die Therapie sensitiver machen könnten, als auch eine Methode, betroffenen Patient:innen auf eine Therapieresistenz zu screenen und herauszufinden, bei wem voraussichtlich eine antientzündliche Begleittherapie hilfreich sein könnte.“ Aufbauend auf diesem neuen Konzept wurde bereits im vergangenen Jahr am UCT Frankfurt eine prospektive, klinische Phase-1-Studie (ACO/ARO/AIO-21) initiiert, die die Durchführbarkeit und prinzipielle Wirksamkeit der Kombination einer Radiochemotherapie mit der Hemmung des entzündlichen Botenstoffes aufzeigen soll (ClinicalTrials.gov: NCT04942626). Ein großer Vorteil ist, dass der dazu verwendete Hemmstoff (Anakinra) für Patient:innen mit rheumatoider Arthritis bereits zugelassen ist und gut vertragen wird. Somit konnte die sonst oft sehr langwierige Suche nach einem geeigneten Inhibitor, der nicht toxisch ist, signifikant abgekürzt werden konnte.
Prof. Greten, Direktor des Georg-Speyer-Hauses und Sprecher des FCI ist stolz auf die Forschungsergebnisse: „Das FCI als translationales Netzwerk hat auf eindrucksvolle Weise unter Beweis gestellt, wie der Forschungskreislauf Lösungen zu relevanten Fragestellungen aus der Praxis hervorbringen kann, wenn die verschiedenen Disziplinen eng verzahnt zusammenarbeiten: In unserem interdisziplinären Querschnittsprogramm zum Rektumkarzinom haben wir eine Herausforderung aus der Klinik aufgegriffen, den molekularen Mechanismus analysiert, und nun bringen wir die Ergebnisse zurück zu den Patient:innen.“
Die Originalmeldung finden Sie hier.
Originalpublikation: Nicolas et. al., Inflammatory fibroblasts mediate resistance to neoadjuvant therapy in rectal cancer, Cancer Cell (2022), https://doi.org/10.1016/j.ccell.2022.01.004