23.09.2021

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Katalin Karikó, Özlem Türeci und Uğur Şahin werden mit dem Paul Ehrlich- und Ludwig Darmstaedter-Preis 2022 ausgezeichnet

Die Biochemikerin Katalin Karikó (66), die Ärztin Özlem Türeci (54) und der Arzt Uğur Şahin (56) werden mit dem Paul Ehrlich- und Ludwig Darmstaedter-Preis 2022 ausgezeichnet. Das gab der Stiftungsrat der Paul Ehrlich-Stiftung heute bekannt. Die drei Preisträger werden für ihre Erforschung und Entwicklung von messenger-RNA (mRNA) zu präventiven und therapeutischen Zwecken ausgezeichnet. Sie haben eine Technologieplattform etabliert, die in Teilbereichen der Medizin einen Paradigmenwechsel einleiten dürfte – von einer externen Applikation von Impfantigenen oder therapeutisch wirksamen Proteinen hin zu deren interner Produktion in den Körperzellen der Patienten. Als herausragender Erfolg hat sich dabei die spektakulär schnelle Entwicklung eines hochwirksamen Impfstoffes gegen die Coronavirus-Krankheit COVID-19 erwiesen, der bei der weltweiten Eindämmung der SARS-CoV2-Pandemie eine entscheidende Rolle spielt.

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Die Preisträger des Paul Ehrlich- und Ludwig Darmstaedter-Preis 2022 (v.l.): Katalin Karikó, Özlem Türeci, Uğur Şahin © Vilzek Foundation/M. Hamilton, BioNTech, BioNTech

mRNAs sind Botenmoleküle, die genetische Informationen aus der DNA im Zellkern zu den Ribosomen im Cytoplasma bringen. Der Bauplan, den sie übertragen, leitet dort die Proteinsynthese an. In diesem Prozess der Translation wird genetische Information in biologische Funktion übersetzt. Im Gegensatz zur DNA sind mRNAs sehr instabile Moleküle. Die niedrige Proteinproduktion galt als ihre Hauptschwäche für eine pharmazeutische Nutzung. Zudem bewertet unser Immunsystem von außen applizierte mRNA normalerweise als Eindringling. Es schüttet Entzündungsbotenstoffe aus und drosselt die Translation der betreffenden mRNA. Während in Gentherapien mit DNA große (und bis heute weitgehend unerfüllte) Hoffnungen gesetzt wurden, schien die mRNA für einen medizinischen Einsatz nicht in Frage zu kommen.  

Katalin Karikó blieb jedoch unbeirrt von der Dominanz der DNA-Forschung in den 1990er-Jahren ihrem Ziel treu, durch Einbringung von mRNA in lebenden Zellen die Produktion von Proteinen anzuregen, an denen es Patienten ganz oder teilweise mangelte, zum Beispiel bei einer Erbkrankheit wie der Mukoviszidose. Sie war vom prinzipiellen Vorteil solcher Proteinersatztherapien überzeugt. Denn anders als DNA-Therapeutika muss die mRNA nicht in den Zellkern gelangen, um ihre Wirkung zu entfalten. Anders als die mit Mutagenitätsrisiko behafteten DNA-Therapeutika integriert sich RNA nicht in das Genom ihrer Zielzelle und ist nur vorübergehend aktiv, weil sie sehr schnell abgebaut wird. Vielen Widrigkeiten zum Trotz gelang Karikó, die an der University of Pennsylvania forscht, schließlich ein entscheidender Durchbruch: Sie entdeckte, wie sich die körpereigene Abwehrreaktion gegen synthetische mRNA ausschalten und damit die intrazelluläre Proteinproduktion deutlich erhöhen ließ.

Uğur Şahin und Özlem Türeci kommen aus der Krebsforschung (unter anderem am Deutschen Konsortium für Translationale Krebsforschung - DKTK, Partnerstandort Frankfurt/Mainz, Anm. d. Red.). Sie fokussierten sich an der Universität des Saarlandes und der Universität Mainz seit Mitte der 1990er-Jahre darauf, Krebsimpfstoffe zu entwickeln, die dem Immunsystem eines Patienten die Antigene seines eigenen Tumors präsentieren, damit es diesen zerstöre. Sie entschieden, dass die Gabe von mRNA, die die Baupläne von Tumorantigenen trug, dafür am besten geeignet sein würde. Ende der 1990er-Jahre begannen sie, mRNA so zu optimieren, dass sie als Krebsvakzin verimpft werden konnte. In jahrelanger Forschungsarbeit veränderten sie eine Vielzahl struktureller Komponenten der mRNA mit äußerster Präzision, wodurch sie sowohl deren intrazelluläre Stabilität als auch deren Translationseffizienz signifikant steigerten und damit einen alternativen Lösungsansatz entwickelten, der niedrigen Proteinproduktion entgegenzuwirken.  Mit den 2006 publizierten Ergebnissen dieser Arbeit gingen sie im selben Jahr als Sieger aus dem ersten Go.Bio-Wettbewerb des Bundesministeriums für Bildung und Forschung hervor, was sie zur 2008 erfolgten Gründung von BioNTech motivierte.  

In den Folgejahren gelang es dem Forscherpaar, die Impfstoffwirkung dadurch zu verbessern, dass sie mRNA gezielt in dendritische Zellen (DC) im lymphatischen Gewebe einbrachten. Diese besondere Sorte von DCs sind die „Hochleistungstrainer“ des Immunsystems und ermöglichen es, besonders starke Immunantworten zu induzieren. Dank der Entwicklung geeigneter Lipidnanopartikel als Transportmittel erreichten die beiden Ärzte und ihr Team eine körperweite Verbreitung von mRNA in dendritischen Zellen, wodurch sie eine große Zahl von Immunzellen rekrutieren konnten, die mit Präzision nur Krebszellen angriffen. Diese bahnbrechenden Fortschritte bildeten die Grundlage für den erfolgreichen Einsatz von mRNA in verschiedenen Indikationen beim Menschen. Um ihre Vision individualisierter Impfstoffe zu verwirklichen, entwickelten Şahin und Türeci ein wegweisendes Verfahren, um jeden mRNA-Impfstoff maßgenau an das genetische Profil des Tumors eines Patienten anzupassen. Es lässt sich auf alle Krebsarten anwenden.

In den vergangenen Jahren ist BioNTech dementsprechend in der klinischen Anwendung von Krebsimpfstoffen weit vorangekommen. Mehrere therapeutische Krebsimpfstoffe haben die erste Phase der klinischen Prüfung erfolgreich bestanden. Auf das von ihnen erfolgreich erprobte Prinzip, mRNA gezielt in DCs des lymphatischen Gewebes einzubringen, und auf ihre Erfahrung mit Krebsimpfstoffen konnten Şahin und Türeci später bei der Entwicklung des COVID-19-Impfstoffes zurückgreifen. Darüber hinaus kam dem COVID-19-Impfstoff der Einbau der verschiedenen optimierten Strukturkomponenten der mRNA zugute, die Sahin und Türeci ursprünglich für ihre Krebsimpfstoffe entwickelt hatten.

Katalin Karikó schloss sich dem Unternehmen 2013 an. Für die Entwicklung von Proteinersatztherapien sind die von ihr entdeckten nicht-immunogenen mRNA-Moleküle unerlässlich. Für die Entwicklung von Krebs-Vakzinen, die vor allem zelluläre Immunität hervorrufen sollen, sind sie es nicht.  Eine gewisse Immunstimulation ist bei jeder Impfung zwingend erforderlich. Für die Entwicklung von Impfstoffen gegen Infektionskrankheiten, die vor allem eine humorale Immunität durch die Anregung der Produktion von Antikörpern hervorrufen sollen, ist nicht-immunogene mRNA jedoch von Vorteil. Mit unmodifizierter mRNA wäre die so schnelle Entwicklung eines hochwirksamen COVID-19-Impfstoffes deutlich schwieriger erreichbar gewesen. Beide bis heute im Kampf gegen die Corona-Pandemie erfolgreichen mRNA-Impfstoffe basieren folglich ebenso auf optimierten Strukturkomponenten der mRNA wie auf Katalin Karikós Entdeckung nicht-immunogener mRNA. Die notwendige Immunstimulation besorgen bei beiden die Lipidformulierungen.

Eine ausführliche Hintergrundinformation finden Sie hier. Die Originalmeldung der Goethe Universität Frankfurt am Main können Sie hier nachlesen.