04.01.2017

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Interview mit Michael Baumann: „Ohne Kooperationen geht es nicht“

Prof. Michael Baumann ist seit dem 1. November wissenschaftlicher Vorstand des Deutschen Krebsforschungszentrums und Sprecher des Deutschen Konsortiums für Translationale Krebsforschung. Zuvor war er über 20 Jahre in Dresden tätig, unter anderem als Direktor der Strahlentherapie am Universitätsklinikum Carl Gustav Carus. Unter seiner Leitung hat sich Dresden zu einem der stärksten Standorte für Strahlentherapie entwickelt. Im Interview spricht er über seine neuen Aufgaben in Heidelberg und die Stärke der Verbundforschung.

Prof. Michael Baumann | © Philip Benjamin/NCT Dresden

Herr Baumann, als neuer Vorstand der größten biomedizinischen Forschungseinrichtung Deutschlands haben Sie einen sehr ausgefüllten Terminkalender. Dabei legen Sie eine bewundernswerte Gelassenheit an den Tag. Liegt es daran, dass Sie das DKFZ schon aus langjähriger Zusammenarbeit gut kennen oder ist das ihr nordisches Naturell?

Michael Baumann: Auf meinen Start am DKFZ habe ich mich sehr gefreut und die Wissenschaftler und Abteilungen des DKFZ näher kennenzulernen ist extrem spannend. Mit dem DKFZ bin ich in der Tat bereits eng verbunden, weil es für Dresden schon immer ein sehr wichtiger Partner und Initiator für gemeinsame Projekte im Deutschen Konsortium für Translationale Krebsforschung und am Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen in Dresden. Als typisches Nordlicht würde ich mich nicht bezeichnen, aber ein gutes Maß an Besonnenheit schadet nicht, wenn man neue Wege beschreiten will.

 

Michael Baumann: Das DKFZ ist eben eine der besten Adressen auf der Welt und sehr viel breiter aufgestellt als der Standort Dresden derzeit. Deshalb ist es für mich eine große Chance die Krebsforschung - und das immer verstanden als Grundlagenforschung, präklinische und klinische Forschung - mit den Heidelberger Kollegen und den Partnern des DKFZ weiter nach vorne zu bringen. So ein Angebot bekommt man nur einmal im Leben!

Sie haben schon sehr früh auf die enge Verzahnung von Grundlagenforschung und klinischer Forschung gesetzt. Dresden hat in diesem Kontext die Idee, das Deutsche Konsortium für Translationale Krebsforschung zu gründen von Beginn an mit unterstützt. Gerade wurden Sie zum Sprecher des DKTK gewählt. Welche Aufgabe sehen Sie vorrangig für dieses deutschlandweite Netzwerk?

Michael Baumann: Die Krebsforschung der letzten Jahre hat enorme Fortschritte gemacht und Deutschland ist in diesem Bereich hervorragend aufgestellt. Die Umsetzung prä-klinischer Forschung in die klinische Praxis muss jedoch noch deutlich effizienter werden. Die Kernaufgabe des DKTK sehe ich im Aufbau von standort- und disziplinübergreifenden Infrastrukturen, um die Rahmenbedingungen für die klinisch-orientierte Krebsforschung zu verbessern. Nur auf dieser Basis ist die Entwicklung einer personalisierten Krebsmedizin überhaupt möglich.

Ein internationales Gutachterkomitee hat die Arbeit des DKTK jetzt als „herausragend“ bewertet. Worin sehen die Gutachter die bedeutendsten Erfolge der letzten fünf Jahre?

Michael Baumann: Mehr als 20 Forschungseinrichtungen in einer gemeinsamen Vision zusammenzubringen ist keine leichte Aufgabe. Dem DKTK ist das durch intensiven Austausch, dem Aufbau gemeinsamer Forschungsinfrastrukturen und mit seinen standortübergreifenden Forschungsaktivitäten auf einzigartige Weise und in kürzester Zeit gelungen. Unter dem Dach des DKTK sind bereits mehrere klinische Studien entwickelt und initiiert worden und mehr als 1.600 wissenschaftliche Arbeiten veröffentlicht. Damit nimmt es bereits jetzt eine beispielhafte Vorreiterrolle für die translationale Krebsforschung in Europa ein. Ich setze darauf, dass diese dynamische Entwicklung auch die nächsten Jahre weiter vorangeht.

Funktioniert klinisch-orientierte Krebsforschung in Deutschland und Europa nur im Verbund?

Michael Baumann: Wenn wir personalisierte Krebsmedizin wirklich ernsthaft entwickeln wollen, geht es nicht ohne Kooperationen. Auch große Unikliniken sehen meistens nur wenige Patienten pro Jahr mit einer ganz bestimmten Krebserkrankung und einer ganz spezifischen biologischen Charakteristik. Dem kann man nur durch größere Verbünde entgegentreten.

Sie selbst haben als Arzt in Boston geforscht. In den USA wird ein ganz anderer Ansatz verfolgt...

Michael Baumann: In den USA tritt häufig jedes Zentrum gegen das nächste an, und die Zentren vergrößern sich. Das konnte ich mit Gesundheitsminister Gröhe während unserer USA-Reise an mehreren Standorten sehen: Kliniken kaufen reihenweise Krankenhäuser und Arztpraxen dazu, um dadurch im eigenen Zentrum ausreichend große Patientenzahlen zu haben. Das ist ein grundsätzlich anderes Herangehen als in Deutschland, wo Universitätskliniken vergleichsweise klein sind. Es bestehen gute Kooperationen über Standorte hinweg bestehen, die auch weiter ausgebaut werden können. Da haben Deutschland und Europa große Vorteile, denn der Wunsch nach gemeinsamer Arbeit ist hier viel stärker ausgeprägt als in den USA.

Das Programm „Strahlentherapie und Bildgebung“ ist ein wichtiger Forschungsschwerpunkt im DKTK. Sie selbst forschen seit 25 Jahren in dem Gebiet und möchten auch weiterhin eigene Forschung betreiben. Wie genau wollen Sie die personalisierte Strahlentherapie weiterentwickeln?

Michael Baumann: Hauptsächlich im Bereich der personalisierten Radioonkologie. Mein Interesse gilt den Fragen: Wie kann man die Biologie des Tumors, der im einen Patienten sehr strahlenempfindlich und im anderen Patienten sehr strahlenresistent sein kann, über die Biomarker-Konstellation vorab bestimmen? Und wie kann man das dann in personalisierte Strahlentherapie-Konzepte übersetzen, um beispielsweise zu entscheiden, ob überhaupt bestrahlt wird und in welcher Form.

Seit Gründung des DKTKs waren Sie Sprecher für den Standort Dresden. Welche neuen Aufgaben kommen jetzt als DKTK Sprecher auf Sie zu?

Michael Baumann: Das ist natürlich ein Perspektivenwechsel und ich sehe diesen als große Chance. Im kommenden Jahr gilt es, die erfolgreiche Strategie des DKTK in allen Bereichen umzusetzen und weiter zu entwickeln, um die Spitzenforschung auf dem Gebiet der translationalen Onkologie optimal zu bündeln. Diesen Prozess der weiteren Strategiefindung zu moderieren und dafür zu sorgen, dass eine zielgerichtete Diskussion stattfindet, sehe ich als meine Aufgabe.

Welche Rolle spielt dabei das DKFZ?

Michael Baumann: Die Translationszentren an den einzelnen Standorten sind ja jeweils eine gemeinsame Einrichtung zwischen DKFZ und der Hochschulmedizin, manchmal sogar mit weiteren Partnern. Schon aus diesem Grund macht es Sinn, dass sich das DKFZ besonders in der Koordination engagiert. Das DKFZ verfügt aber auch aus verwaltungstechnischen Gründen über die notwendige Schlagkraft, um ein deutschlandweites Konsortium zu koordinieren. Zudem sind seine Aktivitäten in der Krebsforschung sehr breit aufgestellt und es verfügt über ein breites Spektrum an Expertise, modernster Techniken und Großgeräte. Die Universitätskliniken betreiben Patientenversorgung, patientennahe Krebsforschung auf höchstem Niveau und oft starke Grundlagenforschung in den einzelnen Bereichen. Durch die enge Kooperation im DKTK entsteht für alle Beteiligten ein Mehrwert, der ganz neue Möglichkeiten für die Krebsmedizin eröffnet..

Herr Baumann, die Lücke, die Sie in Dresden hinterlassen, wird nicht leicht zu schließen sein. Nun sind ja Heidelberg und Dresden eng verbunden über das DKTK, das NCT, den Krebsinformationsdienst und das National Center for Radiation Research in Oncology. Werden Sie auch Kontakt zu Dresden halten?

Michael Baumann: Dresden ist exzellent aufgestellt: Die Standortleitung des DKTK ist an Mechthild Krause übergegangen. Sie übernimmt auch die NCT-Leitung gemeinsam mit Martin Bornhäuser und Jürgen Weitz. Ich selbst werde aber sicher auch Kontakt halten.

Dresden hat eine wunderschöne barocke Altstadt, die Semper Oper und das Elbsandsteingebirge liegt vor der Tür. Wie schwer fiel Ihnen der Abschied?

Michael Baumann: Michael Baumann: Dresden hat viele schöne Seiten, die mir in guter Erinnerung verbleiben werden. Aber jetzt bin ich erst einmal gespannt auf das charmante Heidelberg und freue mich darauf, die vielfältige Umgebung der Bergstraße näher zu erkunden.

 

Zur Biografie

Michael Baumann promovierte 1988 in Hamburg zum Doktor der Medizin. Danach war er als Postdoc im Massachusetts General Hospital an der Harvard Medical School in Boston tätig. Nach seiner Ausbildung zum Facharzt für Strahlentherapie habilitierte er 1994 in Hamburg. 1995 wechselte er als Leiter der experimentellen Radioonkologie an die TU Dresden. Während seiner Zeit als Direktor der Strahlentherapie am Universitätsklinikum Carl Gustav Carus sowie als Direktor am Institut für Radioonkologie des Helmholtz-Zentrums Dresden-Rossendorf und des OncoRay-Zentrums baute er die radioonkologische Forschung am Standort Dresden maßgeblich mit auf. Zudem war er Gründungsdirektor des Universitäts KrebsCentrum Dresden sowie Sprecher des DKTK und NCT Partnerstandorts Dresden. Zum 1. November 2016 ist er ans DKFZ gewechselt, das er nun gemeinsam mit seinem Kaufmännischen Vorstandskollegen Josef Puchta leitet.